Die Stadt wächst und mit ihr das Straßen- und Straßenbahnnetz. Allerdings sind viele Straßen noch unbefestigt und den heutigen Asphaltausbau kennt man noch nicht.
Mit Beschluss vom 30. Juni 1909 hat der Rat der Stadt Mülheim an der Ruhr die Vorschläge der Straßenbahn- und der Baukommission angenommen, einen elektrischen Motorsprengwagen zu beschaffen. Dieses Spezialfahrzeug als Sprengwagen sollte keinen militärischen Auftrag erhalten, sondern die Aufgabe haben, die noch nicht befestigten Straßen in Mülheim mit Wasser zu besprühen, damit der Sand und Staub gebunden werden konnte, denn die „Staubplage“ in den Sommermonaten war der Mülheimer Stadtverwaltung schon lange ein Dorn im Auge.
Die Hamburger Firma Hellmers hatte sich auf die Herstellung solcher Arbeitswagen der ersten Stunde spezialisiert und sich eine ausgeklügelte Sprengvorrichtung patentieren lassen. Solche Fahrzeuge wurden sowohl in zwei- als auch in vierachsiger Ausführung gebaut.
Das Mülheimer Fahrzeug wurde im Jahre 1910 als vierachsiger Triebwagen geliefert und war mit zwei Motoren von jeweils 32 kW Leistung ausgerüstet. Die goldene Beschriftung auf den Seitenflächen dieses in einem erfrischenden mausgrau gehaltenen Wagens stach besonders hervor. Es wurde jedoch unter Verwendung der Hellmers-Patente von der Waggonfabrik van der Zypen & Chalier in Köln-Deutz hergestellt und entsprach den beiden Sprengwagen der „Bahnen der Stadt Cöln“ des Baujahres 1906, die die beiden Mülheimer Kommissionen vorher eingehend besichtigten.
Während die Kessel der Kölner Sprengwagen jeweils 10 Kubikmeter Wasser fassen konnten, betrug die Füllmenge des Mülheimer Fahrzeuges 12 Kubikmeter. Die Sprengvorrichtung bestand aus zwei Perronbrausen zum Besprühen des Schienenfeldes in etwa zwei bis drei Metern und zwei mittleren Seitenbrausen mit Handbetätigung zur Besprengung des Außenfeldes. Die Seitenbrausen waren zum beliebigen Schmal- und Breitsprengen, Mäßig- und Starksprengen eingerichtet. Dies alles konnte über ein ausgeklügeltes Hebelsystem von der Plattform aus reguliert werden. Eine unterhalb des Kessels eingebaute elektrische Pumpe sorgte für den nötigen Wasserdruck.
Der Fahrzeugtank konnte entweder durch eine Klappe auf dem Dach gefüllt werden oder über einen Hydranten mit Hilfe der eingebauten Motorpumpe. Dazu brauchte man in der Regel 10 Minuten. Mit der Füllung von zwölf Kubikmetern Wasser konnte bei einer Geschwindigkeit von etwa zwölf Stundenkilometern eine sechs bis sieben Kilometer lange Strecke besprengt werden. Zur Fortführung des Einsatzes konnte der Kessel an einem öffentlichen Hydranten wieder befüllt werden.
Die Anschaffungskosten waren auf 17.000 Mark festgelegt und der Betrieb dieses Fahrzeuges wurde der Straßenbahnverwaltung übertragen unter Erstattung der jährlichen Kosten in Höhe von 2.000 Mark.
Der Fahrer stand links an der Kurbel des Fahrschalters, während auf der rechten Plattformseite der Sprengmeister der Stadtreinigung seinen Stehplatz hatte. Dieser hielt mit den Hebeln den mächtigen Strahl zu den Seiten in Schach, damit das Wasser den Staub problemlos in den Rinnstein spülen konnte. Von der Mülheimer Straßenbahn war in Zusammenarbeit mit der Stadtreinigung ein Umlaufplan für dieses Fahrzeug ausgearbeitet worden, aber es kam immer schon einmal vor, dass der Sprengwagen einem Linienwagen im Wege war. An der nächsten Ausweiche konnte die „Arbeitsmannschaft“ dem Linienzug jedoch wieder Platz machen.
Ansonsten sind weitere Unterlagen über den Mülheimer Sprengwagen nicht mehr vorhanden, weil das Archiv der Verkehrsbetriebe im 2. Weltkrieg vollständig zerstört wurde und somit fast alle alten Bilder und Dokumente verloren gingen. Überliefert ist jedoch, dass zu Beginn der dreißiger Jahre das Einsatzfeld dieses Fahrzeuges immer mehr eingeschränkt wurde, bis es gar nicht mehr benötigt wurde. Dies wird dadurch bestätigt, dass im Jahre 1938 die elektrische Ausrüstung ausgebaut und im Triebwagen Nr. 70 weitere Verwendung fand.